Tod auf dem Nil

Poster
Originaltitel:
Death on the Nile
Jahr:
1978
Eingetragen:
11.07.2012
Bearbeitet:
16.07.2012
IMDB-Wertung:
7,3/10
TMDB-Wertung:
7,2/10


Hannes schreibt:

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Das Glück hält nur kurz
Jackie (Mia Farrow) kommt mit guten Nachrichten zu ihrer reichen Freundin Linette (Lois Chiles): Sie hat sich mit einem gewissen Simon (Simon MacCorkindale) verlobt. Die beiden hätte sie einander besser nicht vorgestellt, denn dem ersten Händeschütteln folgt direkt – Schnitt – die Hochzeit… Linettes und Simons. Ihre Flitterwochen verbringen sie in Ägypten, begleitet von Linettes Bediensteter Louise Bourget (Jane Birkin). Jackie, deren Eifersucht in offenen Hass umgeschlagen ist, folgt den beiden ebenfalls auf Schritt und Tritt, um ihnen ihre Zweisamkeit zu vermiesen.

Auf dem Nildampfer „Karnak“ ist darüber hinaus eine illustre Gruppe weiterer Passagiere unterwegs: Mrs. Van Schuyler (Bette Davis) mit ihrer antagonistischen Gesellschafterin Miss Bowers (Maggie Smith), Kriminalschriftstellerin Salome Otterbourne (Angela Lansbury) mit ihrer Tochter Rosalie (Olivia Hussey), der bekannte schweizer Arzt Dr. Bessner (Jack Warden), der überzeugte Sozialist James Ferguson (Jon Finch), Linettes amerikanischer Anwalt Andrew Pennington (George Kennedy), der ihr nach ihrer Heirat schnell gewisse Schriftstücke unterschieben will, sowie Colonel Race (David Niven), ein alter Bekannter des bekannten belgischen Detektivs Hercule Poirots (Peter Ustinov).

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Poirot kommt an Bord
Alle haben irgendetwas mit Linette zu tun – in negativ-konfliktbeladenen Sinne. Doch es sind trotzdem Jackies Auftritte, die das Bild bestimmen. Nachdem bereits ein scheinbarer Mordanschlag auf Simon und Linette in den Ruinen Abu Simbels misslungen ist, schießt die betrunkene Jackie eines Abends in der schiffseigenen Bar Simon ins Bein. In der allgemeinen Panik achtet niemand mehr auf Linettes Kabine… und am nächsten Morgen wird sie erschossen in ihrem Bett gefunden. Jackie, die prinzipiell Hauptverdächtige, kann es nicht gewesen sein: Sie war nach dem Schock ihrer Tat gegen Simon unter Morphium gesetzt und die ganze Nacht beaufsichtigt worden. Doch Poirot findet schnell heraus, dass wirklich jeder ein Motiv gehabt hätte…

Nach dem Erfolg von Mord im Orientexpress war es natürlich nur eine Frage der Zeit, bis weitere Filme in die gleiche Kerbe schlagen würden: ein weiterer Roman Agatha Christies, wieder mit breiter Starbesetzung, stilvoll verfilmt.

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Jackie brütet
Die besondere Qualität ist wieder die Balance aus Humor und Spannung, die bestens gelingt. Nahtlos gehen Szenen unterschiedlicher Stimmung ineinander über, ohne dass man als Zuschauer in seinen Erwartungen aus der Bahn gerissen wird. Das liegt daran, dass selbst die Charaktere, die offensichtlich primär Unterhaltungscharakter haben, immer noch menschlich bleiben. Das Paradebeispiel ist Angela Lansbury and Salome Otterbourne: Gerade anfangs ist die Rolle sehr (positiv) albern, aber durch ihre Tochter wird sie wieder zur dreidimensionalen Person wird (ihre Unterhaltung mit Ferguson); schließlich schützt ihr „Witzfigurstatus“ sie nicht davor, nachher entscheidend in den ernsthaften Kriminalfall gezogen zu werden.

Doch nicht nur das Drehbuch ist qualitativ hochwertig; insbesondere das Zusammenspiel der Darsteller mit der Inszenierung hebt Tod auf dem Nil aus der Masse der Kriminalfilme heraus. Beispielhaft sei hierfür die Tangoszene, die hauptsächlich völlig non-verbal gestaltet ist, genannt:

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Ein möglicher Ablauf des Mordes
Poirot fordert Rosalie Otterbourne, um den endlosen Erzählungen derer Mutter zu entkommen, zum Tanzen auf. Letztere schnappt sich den wehrlosen Colonel Race. Ferguson, der sich offensichtlich gerade durchgerungen hatte, die ebenfalls schüchterne Rosalie anzusprechen, muss unverrichteter Dinge wieder abziehen. Im Zentrum der Aufmerksamkeit stehen erstmal kurz wieder Salome Otterbournes peinliche Hampeleien, jedoch ist die Musikauswahl bereits bedeutungsschwanger: Jalousie von Jacob Gade. Dann Schnitt zum Eingang (abgestimmt mit einem Motivwechsel in der Musik): Jackie betritt den Saal. Sie zögert kurz, verschafft sich den Überblick über den Raum, setzt dann ihren Weg mit forschem Schritt fort. Ein öffnender Zoom zurück in die Totale verschafft auch den Zuschauern wieder den Überblick. Jackies stechender Blick richtet sich auf Linette und Simon, die bislang nur periphär zu sehen waren. Herausfordernd streckt sie ihr Kinn nach vorne – zum ersten Mal in der Szene wird das Bild statisch, für eine halbe Sekunde scheint die Zeit stillzustehen. Gegenschnitt auf Simon und Linette, die ihrerseits nun Jackie wahrnehmen. Linette verlässt entnervt, aber wortlos den Saal. Simon faucht Jackie kurz an (in einem ebenfalls auf den Takt der Musik abgestimmten, aber trotzdem nicht unnatürlichen Staccato), sie erträgt es mit gesenktem Blick, bevor auch er seiner Frau hinterhereilt. Poirot hat natürlich in seiner aufmerksamen Art alles ganz genau wahrgenommen.

Das hat alles nichts mit „Genie“ zu tun oder ist „außergewöhnliche Kunst“. Aber es ist eine durchdachte Inszenierung, umgesetzt von fähigen und gut angeleiteten Darstellern. Was eben mehr ist, als einfach nur eine Kamera auf sprechende Menschen zu halten: Perspektiven, Schnitte und Kamerabewegungen sind nicht einfach zufällig, sondern bewusst im Hinblick auf ihre Funktion und Wirkung gewählt. So muss filmisches Erzählen aussehen!

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