Die außergewöhnlichen Abenteuer des Saturnino Farandola

Poster
Originaltitel:
La avventure straordinarissime di Saturnino Farandola
Jahr:
1913
Eingetragen:
23.06.2013
IMDB-Wertung:
6,4/10
TMDB-Wertung:
5,6/10


Hannes schreibt:

Das, was wir heutzutage als typische Spielfilmlänge kennen, bildete sich erst Jahrzehnte nach Beginn der kommerziellen Filmindustrie heraus. Filmmaterial war einfach teuer und so war es bis in die 40er und 50er Jahre durchaus noch üblich, kleineren Produktionen nur eine Laufzeit unter einer Stunde zu gestatten. Doch selbst dorthin musste man sich in der wirklichen Anfangszeit erstmal vorarbeiten. So sind Die außergewöhnlichen Abenteuer des Saturnino Farandola mit ihren beinahe 80 Minuten schon eine beinahe rekordverdächtige Ausnahmeerscheinung!

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Klein-Saturnino wird von Menschen in Affenkostümen gefunden
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Kaum hat er sie kennengelernt, wird Mysora auch schon von einem Wal verschlungen

Wie außergewöhnlich dies gewesen sein muss, zeigt sich dann auch an der Struktur des Films: Eine durchgehende Dramaturgie über die gesamte Länge aufzubauen, hielt man wohl für unnötig. Stattdessen reihte man kleinere Episoden, die jeweils eher der Länge eines typischen Filmes der Zeit entsprechen, aneinander. Im Zentrum steht jeweils Protagonist Saturnino Farandola (Marcel Perez), der als Baby schiffbrüchig an einer Insel fernab menschlicher Zivilisation angeschwemmt und dort von Affen aufgezogen wurde. Als junger Erwachsener entfloh er der Insel jedoch und gliederte sich wieder in die menschliche Gesellschaft ein. Damit begannen seine Abenteuer erst so richtig: Nach einem Zusammenstoß mit einer Piratenbande macht er eine steile Karriere in der Seefahrt. Er lernt mit Mysora (Nilde Baracchi) die Frau seines Lebens kennen, die er jedoch erstmal aus dem Magen eines Wales und anschließend aus den Fängen eines verrückten Wissenschaftlers retten muss. Anschließend reißt das Gespann nach Siam, wo es einem gestohlenen weißen Elefanten nachspürt, an die Quellen des Nils, wo sie neben wilden Tieren auch wilden Kannibalen begegnen sowie nach Amerika, wo sie erst von Indianern gefangengenommen und dann noch in einen kleinen Bürgerkrieg verwickelt werden.

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In den Fängen verschlagener Ostasiaten
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Für seine Taten wird Saturnino reich belohnt

Eigentlich stellt der Film also den Versuch dar, sämtliche (aus europäischer Sicht) fremd-abenteuerliche Schauplätze der Welt unterzubringen. Der Tonfall ist dabei komödiantisch, wodurch die jeweiligen Gefahren wohl etwas relativiert werden sollen – dass den Hauptpersonen schon nichts Schlimmes geschehen wird, ist eigentlich immer klar. Statt Spannung verlässt man sich eben ganz auf die Wirkung der „fremden Kulturen“, deren Angehörige natürlich allesamt von Italienern in Karnevalskostümen dargestellt werden und die sich verhalten wie schlechte Clichés – doch da muss man dem Film natürlich zu Gute halten, dass dies natürlich noch die Hochzeit des Imperialismus und damit Kolonialismus war.

Apropos: die Selbstverständlichkeit mit der sich Saturnino in eben Kolonialherrenart überall auf der Welt gebärdet, ist absolut köstlich anzusehen! Er versteht sich als Vertreter einer überlegenen Zivilisation, dem überall auf der Welt sofort eine entscheidende, bestimmende und führende Rolle zufällt. Der Ironie, dass diese Figur ja den Großteil ihrer eigenen Sozialisation in einer noch viel weniger entwickelten Gesellschaft verbracht hat, scheint sich der Film nicht mal ansatzweise bewusst zu sein.

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Damsels in Distress (alias zukünftige Angehörige des Harems)
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Erstürmung eines Forts im Pulverdampf

Die große Naivität zeigt sich auch in einigen der größeren Wendungen der Handlung. Die italienische Sprache und die Konventionen der dortigen Gesellschaft zu lernen, scheint für Saturnino keinerlei Problem darzustellen. Sein Wissen über die (weltweit standardisierte) Sprache der Affen kommt ihm aber in einer späteren Episode zu Gute, als sein Harem von Gorillas entführt wird. Einmal rekrutiert und trainiert er seine Affenfreunde auf militärische Weise, um Mysora zu befreien. Und so weiter und so fort. Ernsthaft positiv ist, dass man sich wirklich Mühe gegeben hat, die „fremden“ Welten adäquat auszustatten und eben auch abwechslungsreich zu gestalten. Ein Tauchausflug in die Unterwasserwelt wirkt tatsächlich mal ganz anders als die Kulissen „Ostasiens“. Etwas unschön ist dagegen die Tendenz, sämtlich Actionszenen in sehr viel Rauch zu ersticken, wodurch wohl gewisse optische Defizite ausgeglichen werden sollten.

Als generelles Qualitätsmaß der Erzählung in Stummfilmen wird oft die Anzahl der Zwischentitel genannt. Je weniger notwendig sind, desto besser! Diesbezüglich verliert Saturnino leider einige Punkte. Insbesondere die ersten Episoden sind geradezu überschwemmt mit sogar recht ausführlich geschriebenen Unterbrechungen – leider ein Zeichen dafür, dass eben die bildliche Erzählung für sich nicht verständlich ist. Durch die vielen Zeit- und Ortssprünge, selbst innerhalb der Makroepisoden, ist dies auch tatsächlich der Fall. Einige Zwischentitel hätte man sich allerdings trotzdem gut sparen können: In der ganz gut gelungenen Heißluftballonschlachtszene gegen Ende wird beispielsweise sogar das Entern eines Ballons von einem anderen aus schriftlich angekündigt; völlig redundant, da man genau das ja erkennbar in der folgenden Szene sieht!

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Spektakuläre Luftschlacht
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Alles klar zum Entern!

Was soll man also zusammenfassend von Saturnino halten? Der Film ist ein Produkt seiner Zeit und als solches interessant. Ebenso wie beispielsweise Tim in Kongo (aus der Comicreihe Tim und Struppi) einen Blick auf eine noch ganz andere Welt und Weltsicht bietet, tut das auch dieser Film, ohne dass man sich dessen Werte als Zuschauer zu eigen machen muss. Gleichzeitig ist die Produktion aufwändig und streckenweise originell – wobei einen technisch natürlich nichts mehr vom Hocker reißt. Von Spannung oder einer aufregenden Handlung kann man nicht sprechen und die beabsichtigte Komik… na ja, sehr simpel gehalten. Ein wirklich guter Film im heutigen Sinne ist das nicht, aber es gibt auch sehr viel Schlechteres.

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