Spuren auf dem Mond

Poster
Originaltitel:
Le orme
Alternativtitel:
Footprints on the Moon
Jahr:
1975
Eingetragen:
28.02.2013
Bearbeitet:
24.01.2016
IMDB-Wertung:
6,7/10
TMDB-Wertung:
6,2/10


Hannes schreibt:

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Wie in Trance ergreift Alice die Flucht von ihrer Arbeitsstelle
Manchmal ist es doch schön, wenn Filme nicht aufgrund ihrer überkomplexen Personen- und Ereigniskonstellation verwirren, sondern dies nur dann bewusst einsetzen, wenn es ihrer Materie angemessen ist, und es dann aber auch noch mittels medialer Stilmittel zu unterstützen wissen. Wann ist es angemessen? Beispielsweise, wenn dadurch der Geisteszustand der Protagonistin nachempfunden werden soll.

So wie im Fall der Übersetzerin Alice (Florinda Bolkan), die von wiederkehrenden Alpträumen, in deren Zentrum ein einsamer, im Rahmen eines Isolationsexperiments des düsteren Professor Blackman (Klaus Kinski) auf dem Mond ausgesetzten Astronaut steht. Anscheinend hat sie auch sehr lange geträumt, denn als sie sich wieder zur Arbeit begibt, zeigt man sich überrascht, dass sie überhaupt noch auftaucht: Vor mehreren Tagen sei sie ohne Anlass während einer wichtigen astronomischen Konferenz aus ihrer Synchronkabine verschwunden und seitdem nicht mehr aufgetaucht. Woran Alice sich allerdings überhaupt nicht erinnern kann; drei-vier Tage sind soweit ausgelöscht, als hätten sie nie stattgefunden.

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Völlige Isolation
In ihrer Wohnung findet sie jedoch ein paar Hinweise: Ein ihr unbekanntes, auffällig gelbes Kleid, das ihr wie angegossen passt, hängt in ihrem Kleiderschrank und außerdem findet sie eine zerrissene Postkarte aus einem Ort namen „Garma“. Nach Rücksprache mit ihrer Freundin (Ida Galli) entschließt sie sich, diesen Spuren zu folgen; Garma stellt sich als Feriendorf auf einer Insel heraus, das Alice schwören könnte, noch niemals betreten zu haben. Doch nicht nur ihr alter, flüchtiger Bekannter Alfredo Laurenti (John Karlsen), der hier ebenfalls Urlaub macht, behauptet, sie hier vor nur zwei Tagen gesehen zu haben. Das kleine Mädchen Paola (Nicoletta Elmi) glaubt sogar, in Alice eine gewisse „Nicole“ wiederzuerkennen. Nur habe jene Nicole etwas längere Haare gehabt. Sie sei auf der Suche nach einem gewissen Harry gewesen. Doch ausgerechnet jener (Peter McEnery), mag er auch noch so sympatisch wirken, scheint überhaupt die einzige Person im gesamten Ort zu sein, die Alice/Nicole nicht persönlich kennt.

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In Garma erwarten Alice einige Überraschungen
Das schönste an einem solchen Film ist, wenn man im Rückblick dann erkennt, dass das Ganze doch Sinn ergibt! Mag die Erzählung dem langsamen und spannenden Erkenntnisprozess der Protagonistin folgen, so lassen sich schließlich doch alle vorangegangenen und aktuellen Geschehnisse gedanklich sinnvoll serialisieren und erklären.

Vielleicht noch wichtiger ist jedoch, dass es Spuren auf dem Mond eben stilistisch, und das heißt primär optisch versteht, Akzente zu setzen. Zentrale optische Reize wie das leuchtend gelbe, mehrmals auftauchende Kleid fallen in den sonst beinahe monochrom gehaltenen Bildern sofort ins Auge. Dies steht wiederum im besonderen Kontrast zu den ansonsten häufig nur in Silhouetten zu sehenden oder vor dem Hintergrund alles überragender Klotzbauten verschwindenden Figuren.

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Schrittweise wird sie zu Nicole
Der Identitätsverlust ist bei gleich mehreren in der Handlung vertretenen Doppelidentitäten nur eines der so vermittelten zentralen Themen. Einsam und verloren ziehen die zentralen Figuren ihre Bahnen, wobei ihre Schicksale dem Zuschauer durch bildliche Parallelen bereits im Voraus angedeutet werden. So überrascht das surreale Ende, in dem die Realität endgültig mit Alices paranoiden Träumen verschwimmt, zwar nicht, aber durch den logischen, sich langsam steigernden Aufbau ist es nicht weniger effektiv.

Nach leichtem Durchhänger mit Ein schwarzer Tag für den Widder kann man so sagen, dass Regisseur Luigi Bazzoni mit diesem Film die logische Fortsetzung seines Erstlingswerks The Lady of the Lake gelungen ist. Sowohl was Stil, als auch Inhalt angeht, hat er sich sogar nochmal entscheidend gesteigert, insbesondere insofern, dass beide Seiten eben eine Einheit bilden. Schade, dass es gleichzeitig sein letzter Spielfilm blieb – da hätte noch einiges Spannendes folgen können.

Kommentare

proc (13.04.2015 22:17)

Ein unglaublicher Film, der gar nicht paranoid gelesen werden muss, sondern als eine tiefenpsychologische Reise ins Selbst empfunden werden kann. Es ist hier und da schwierig, zwischen Traum und Realität zu unterscheiden, was mich aber umgehauen hat, ist das feinsinnige Spiel mit Zuschauererwartungen. Gab es diesen vorkommenden Hund "Fox" wirklich oder ist es eine Imagination des Mädchen Paula? Gab es die aliceartig erzählte Paula wirklich oder ist es eine Imagination der Protagonistin? Gab es diese Nicole, symbolisiert durch eine rote Perücke, oder ist diese Identität ein Bestandteil von Erwartungen? Ist die Insel real oder ein Abstieg in unterbewusste Regionen? Sind die Ruinen real oder eine Projektion der verlorenen Kindheit? Der Film lässt sich sehr vielfältig sehen, macht in jeder Sichtweise Sinn und lebt von einer grandiosen Filmsprache und einer vieldeutigen Erzählung, die ich so noch nie erlebt habe. Selbst wer gar nichts darin sehen will, bekommt einen spannenden Giallo geliefert. Alle Achtung, das muss man erzählerisch und filmsprachlich erstmal hinkriegen!


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