Lucia – Engel des Todes?

Poster
Originaltitel:
Lucia de B.
Jahr:
2014
Eingetragen:
13.01.2016
Bearbeitet:
23.11.2017
IMDB-Wertung:
7,1/10
TMDB-Wertung:
7/10


Hannes schreibt:

„Nach einer wahren Geschichte“ (die wohl auch in den Niederlanden einige Schlagzeilen gemacht hat)… wie üblich stellt sich die Frage, wie man am besten mit einem solchen Stoff umgeht. Erzählt man zu akribisch die Fakten nach, wird's eher trocken. Nimmt man sich zu viele künstlerische Freiheiten heraus, geht der Bezug verloren. Und überhaupt ist auch, wenn sich einer der wirklich Beteiligten falsch dargestellt fühlt, eine Verleumdungsklage nicht weit.

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Soweit scheint es in diesem Fall nicht gekommen zu sein. Die Figur im Zentrum der Erzählung, Lucia de Berk (Ariane Schluter) hätte auch wahrlich keinen Grund dazu. Außer vielleicht, dass sie in ihrer eigenen Geschichte die Protagonistenrolle an eine fiktive Person abgeben muss, nämlich Judith Jansen (Sallie Harmsen), frisch promovierte, aber praktisch unerfahrene Nachwuchskraft in der Staatsanwaltschaft. Blauäugig soll die Zuschauerschaft mit ihr als Avatar durch die Geschichte geleitet werden.

Eine gute Entscheidung, denn Lucia selbst taugt kaum zur Akteurin. Bereits nach 15 Minuten sitzt die Krankenschwester in Untersuchungshaft wegen des Verdachts, sie töte zwanghaft Kinder und alte Menschen, die ihrer Pflege anvertraut wurden. Die Statistik spreche Bände, behauptet ihr schleimiger Chef (Barry Atsma). Und überhaupt, lese sie nicht Horrorromane? Lege sie nicht Tarotkarten? Vermeide sie nicht die angebrachte Sozialisierung mit ihren Kolleginnen? Sei sie nicht vor 30 Jahren einmal wegen Jugendprostitution verhaftet worden? Scheinbar das typische Profil einer psychisch gestörten Mörderin.

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Verständnislose Blicke auch bei den Verteidigern

Denkt sich zumindest auch Naivchen Judith, die sich ordentlich reinhängt, um eine Verurteilung zu erreichen. Was ihr auch gelingt, allerdings währt der Stolz nur kurz, als sie erkennen muss, dass ihr Indizienkartenhaus vom Fundament her wackelt; Lucia ist unschuldig, doch gemeinsam mit deren idealistischen Anwalt (Fedja van Huêt) braucht sie noch beinahe zehn Jahre, die langsam zerbrechende Mutter einer pubertierenden Tochter wieder freizubekommen.

So sinnvoll diese Rolle der Junganklägerin grundsätzlich sein mag, so scheitert die Identifikation doch, denn es wird den Zuschauern nicht nachvollziehbar gemacht, wie „man“ – schon gar nicht Sympathieträger – jemals überhaupt auf die Idee hätten kommen können, Lucia könnte schuldig sein. Von Anfang an wird sie als (nicht dunkler) Engel gezeigt, der sich aufopferungsvoll um alle Menschen um sie herum bis zur Selbstaufgabe kümmert (eine Charakterisierung, die im Übrigen eher im „Großen Sat-1-Film“ zu verorten ist). Ihre Erkenntnisreise macht die Protagonistin also anders als geplant allein durch. Überhaupt fehlt es der Anklage, soweit sie dem Publikum dargestellt wird, an Ernsthaftigkeit; von vornherein werden die Indizien aufs Lächerliche reduziert. Wie die echte Lucia so jemals verurteilt werden konnte, bleibt im Dunkeln.

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Zweitens irritiert, dass ein oder zwei Mal ein an sich interessantes Seitenthema gestreift wird. Anscheinend war der Fall in den Niederlanden eine große Sache in den Medien. Es geht hier also um gesellschaftliche Vorverurteilung und mediale Hexenjagd. Zumindest theoretisch, denn mehr als die zwei verbalen Erwähnungen und eine Szene, in denen Lucia beim Eintreffen vor Gericht von einer Horde Fotographen erwartet wird, gibt es diesbezüglich nicht. Dabei hätte auch dies ja gerade eine interessante Wendung werden können: Die Medien sorgen für eine ungerechte Verurteilung und die Dinge drehen sich erst, als der Anwalt (der in Wirklichkeit ja wahrscheinlich auch ein mediengeiler Schleimbeutel war und nicht der Heilige, wie er hier rüberkommt) über seinen Schatten springt und sich dieser gleichen Macht bedient, um die Phalanx der Behörden zu durchbrechen.

Doch nichts dergleichen findet man in dem tatsächlichen Film. Der ist leider handwerklich trotz weitgehend solider Arbeit etwas schief geraten und auch inhaltlich wäre von dem Fundament, das der Stoff bietet, viel mehr dringewesen. Leider hat man sich rein auf das menschliche Drama gestürzt, ohne dies jedoch dramaturgisch auszuarbeiten. Man muss es halt intuitiv erahnen, anstatt es wirklich erzählt zu bekommen. Also eher Der falsche Mann als Katharina Blum.

Diese DVD wurde zu Rezensionszwecken kostenlos zur Verfügung gestellt.

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